Er war ein Revolutionär der Kunstkritik und spielte eine entscheidende Rolle bei der Wiederentdeckung und Neubewertung von Künstlern, die lange Zeit in Vergessenheit geraten waren.
Radikaler Kunstliebhaber
Thoré-Bürger wurde 1807 in La Flèche, Frankreich, geboren und war schon früh ein politisch und sozial engagierter Mann. Er war ein überzeugter Republikaner und ein vehementer Gegner des autoritären Regimes von Napoleon III. Seine politischen Überzeugungen führten in den 1850er Jahren zu Verbannung und Exil, einer Zeit, in der er sich in Belgien und den Niederlanden aufhielt. In dieser Zeit nahm er auch das niederländisch anmutende Pseudonym Willem Bürger an, unter dem er veröffentlichte. Paradoxerweise erwies sich dieses Exil als fruchtbare Zeit für seine intellektuelle Entwicklung.
Der Wiederentdecker der holländischen Meister
Während seines Aufenthalts in den Niederlanden entwickelte Thoré-Bürger eine tiefe Faszination für die niederländische und flämische Kunst des 17. Jahrhunderts. Er war kein Mann der traditionellen Kunstgeschichte; er suchte nach den menschlichen und sozialen Aspekten in den Gemälden, die er studierte. Er bewunderte die realistische Darstellung des Alltagslebens und die psychologische Tiefe der Porträts.
In seinen Artikeln schrieb er mit ansteckender Begeisterung über Künstler, die von den traditionellen Kunstkritikern als minderwertig oder „zweitklassig” angesehen wurden. Er war ein begeisterter Bewunderer von Jan van Goyen, Meindert Hobbema und vor allem Johannes Vermeer.
Johannes Vermeer: Die Wiederentdeckung
Vermeer, der im 19. Jahrhundert weitgehend unbekannt war, wurde von Thoré-Bürger als einer der größten Maler aller Zeiten bezeichnet. Er war fasziniert von der meisterhaften Beherrschung von Licht und Schatten, der stillen Intimität der Szenen und der unnachahmlichen Qualität der Farbe.
Die Faszination für Vermeer wurde geweckt, als Thoré-Bürger 1842 im Mauritshuis in Den Haag das Gemälde „Ansicht von Delft” sah. Der Name Vermeer war damals nur in kleinen Kreisen bekannt, aber Thoré-Bürger war so fasziniert, dass er in den Jahren bis zu seinem Exil eine systematische Suche nach Vermeers Werken begann.
In den 1860er Jahren kaufte Thoré sein erstes Gemälde von Vermeer, „Die Virginalspielerin”, das heute in der National Gallery in London zu sehen ist. Der französische Maler, Zeichner und Lithograf Henry Grevedon verkaufte Thoré-Bürger im Juni 1866 das Gemälde „Frau mit Perlenkette”, das heute in der Gemäldegalerie in Berlin zu sehen ist. 1867 zahlte Thoré-Bürger 2000 Francs für die „Sitzende Virginalistin”. Von wem er dieses Werk gekauft hat, ist nicht bekannt. Die „Sitzende Virginalistin” befindet sich seit 1910 im Besitz der National Gallery in London.
Théophile Thoré-Bürger starb 1869, aber seine umfangreiche Kunstsammlung blieb im Besitz seiner Familie, insbesondere der Familie Lacroix. Erst 23 Jahre nach seinem Tod, am 5. Dezember 1892, wurde die Sammlung im Hôtel Drouot in Paris versteigert. Der Auktionskatalog gab einen Überblick über die Schätze, die Thoré-Bürger im Laufe seines Lebens gesammelt hatte. Die Sammlung umfasste 59 Gemälde, darunter Meisterwerke seiner geliebten holländischen Meister des 17. Jahrhunderts. Der auffälligste Teil der Auktion war jedoch die Präsenz mehrerer Werke von Johannes Vermeer, dem Künstler, den Thoré-Bürger eigenhändig aus der Vergessenheit geholt hatte.
Abschluss eines Lebenswerks
Die Auktion markierte einen entscheidenden Moment in der Neubewertung Vermeers. Während Thoré-Bürger Vermeer zu Lebzeiten gefördert hatte, sorgte die Auktion dafür, dass die Werke Vermeers endgültig einen Platz auf dem internationalen Kunstmarkt erhielten. Zu den Gemälden, die während der Auktion den Besitzer wechselten, gehörten unter anderem:
- Das Konzert: Dieses Gemälde wurde von der amerikanischen Sammlerin Isabella Stewart Gardner gekauft. Das Gemälde wurde 1990 aus dem Isabella Stewart Gardner Museum in Boston gestohlen und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.
- Sitzende Virginalistin: Dieses Werk wurde für 25.000 Francs von Charles Sedelmeyer gekauft und befindet sich heute in der National Gallery in London.
- Stehende Virginalistin: Dieses Gemälde wurde ebenfalls von der National Gallery in London gekauft.
Die Auktion war ein finanzieller Erfolg und unterstrich den enormen Wertzuwachs der Künstler, die Thoré-Bürger entdeckt und gefördert hatte. Die Versteigerung der Sammlung von Thoré-Bürger im Jahr 1892 war auch der Abschluss eines Lebenswerks. Sie sorgte dafür, dass die Werke von Vermeer und anderen Meistern in bedeutenden Museen auf der ganzen Welt landeten und somit für die breite Öffentlichkeit zugänglich wurden.
Das nächste Mal, wenn Sie vor einem Vermeer stehen, denken Sie daran, dass Sie dies auch einem radikalen, verbannten Kunstkritiker zu verdanken haben, der den Mut hatte, gegen den Strom zu schwimmen und die Schönheit zu sehen, die andere übersehen haben.